Anfang Juni 2019 sind wir nach anderthalb Jahren Bauzeit ins Hausprojekt NiKa eingezogen. Auf sechs Etagen bewohnen wir größere und kleinere Wohngemeinschaften, darüber haben wir eine Gemeinschaftsetage mit Gästezimmer und Dachterrasse. Im Erdgeschoss schlagen öffentliche Nutzungen eine Brücke ins Bahnhofsviertel.
Das fast dreieckige Haus an der Ecke Nidda- und Karlstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel ist 1957 als Bürogebäude und Teil des Frankfurter Pelzzentrums errichtet worden. Nachdem es der Stadt Frankfurt vermacht worden ist, hatten hier Zwischennutzungen durch Künstler*innen, eine Schneiderei, Pelzhandel und Architekt*innen ihren Platz. Im Rahmen des Konzeptverfahrens der Stadt Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. wurde das Haus zum Kauf ausgeschrieben. Das Konzeptverfahren wurde entwickelt, um Initiativen gemeinschaftlichen Wohnens den Kauf von Objekten oder Grundstücken zu einem Festpreis zu ermöglichen, der die Realisierung günstigerer Mieten ermöglicht. Vergeben wird nach Entscheidung einer Jury, die die vorgestellten Konzepte der Gruppen bewertet.
Alle Informationen zum Konzeptverfahren und zu aktuellen Ausschreibungen finden Sie auf der Netzwerk-Seite.
Im Spätsommer 2016 bekamen wir als erste Gruppe im Frankfurter Konzeptverfahren den Zuschlag, das Objekt Niddastraße 57 kaufen und das Grundstück in Erbpacht für 99 Jahre von der Stadt Frankfurt übernehmen zu können. Danach schufen wir zusammen mit unseren Architekt*innen von Meides & Schoop, dem Mietshäuser Syndikat, der GLS-Bank und in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Amt für Wohnungswesen sowie dem Netzwerk Frankfurt für Gemeinschaftliches Wohnen die Voraussetzungen für den Umbau des Gebäudes zum Wohnhaus. Im Sommer 2017 konnten wir den Kauf- und Erbpachtvertrag unterzeichnen und mit den Sanierungsarbeiten beginnen.
Ein längerer Prozess
Dem Zuschlag für die Niddastraße 57 ist ein mehrere Jahre währender Suchprozess vorausgegangen. Ab dem Jahr 2012 beteiligten sich einige von uns am Versuch, das Philosophicum auf dem Bockenheimer Uni-Campus zu kaufen und in ein Wohnprojekt umzuwandeln. 2014 scheiterte das Vorhaben an der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG, die mit einer viel zu kurzen Frist zur Beschaffung einer viel zu großen Geldsumme den Kauf aktiv sabotierte. Andere, die später zur Gruppe stießen, hatten auch schon mehrere Anläufe hinter sich, ein Hausprojekt aufzubauen.
Nach dem Scheitern in Frankfurt und der Aufspaltung der großen Philosophicum-Gruppe übernahmen wir den Verein und die GmbH und versuchten unser Glück an der alten Industrie- und Handelskammer in Offenbach. Nachdem auch dieser Anlauf gescheitert war, standen wir kurz vor Aufgabe des Vorhabens als uns die erste Ausschreibung des Frankfurter Konzeptverfahrens erreichte.
Architektonische, finanzielle und organisatorische Herausforderungen
Das Offenbacher Architekturbüro Meides & Schoop, das auch in Mannheim schon ein Syndikatsprojekt errichtet hat, übernahm nach dem Zuschlag im Konzeptverfahren den Auftrag, das Bürogebäude in der Niddastraße in ein Wohnhaus umzuwandeln. Dazu hatten wir konkrete Vorstellungen: Sieben Zimmer müssten auf den über 200 Quadratmeter großen Etagen Platz finden, außerdem Wohn- und Essbereich sowie Bäder. Die besondere Herausforderung, die wir an die Architekt*innen stellten, war, dass jedes Zimmer gleich groß sein sollte. Die Grundrisse sind auf jeder Etage identisch, ebenso die verwendeten Materialien. Sehr schön war dann der Prozess nach dem Einzug zu beobachten, als jede Wohnung plötzlich ihren eigenen Charakter bekam.
Insgesamt haben Kauf und Sanierung des Gebäudes gut 3,6 Millionen Euro gekostet. Mit fast 1 Million Euro Direktkrediten von Freunden, Verwandten und Sympathisant*innen hatten wir eine gute Ausgangsbasis, ein Darlehen der kfw sowie aus der Bahnhofsviertelförderung der Stadt Frankfurt haben den Kredit der GLS-Bank ergänzt.
Erst spät in unserem Entwicklungsprozess haben sich die konkreten Konstellationen der Wohngemeinschaften gefunden. Das hatte den Vorteil, dass wir uns lange als Hausgemeinschaft auf die gemeinsame Planung aller Bereiche konzentrieren konnten und die Ausgestaltung der Wohnungen und des Zusammenlebens der Wohngemeinschaften erst später hinzutrat.
Das Kennenlernen der Gruppe, Diskussionen über Vorstellungen des Zusammenlebens sowie politische Fragen und natürlich die Verabredung von Verfahren zur Entscheidungsfindung nahmen im gesamten Entwicklungsprozess des Projekts viel Raum ein. Wir treffen Entscheidungen nach dem Konsensprinzip und versuchen, auch denjenigen, die nicht anwesend sein können, Möglichkeiten zur Beteiligung zu geben. Wir hatten uns neben dem wöchentlichen Plenum früh in Arbeitsgruppen aufgeteilt, die die verschiedenen Belange des Projekts betreuten, Informationen aufbereiteten, Entscheidungen vorbereiteten und umsetzten: Zunächst waren das Architektur, Finanzen, Öffentlichkeit und Selbstverständnis.
Solidarisch und gemeinschaftlich
Die Zimmer im NiKa sind gleich groß, ein solidarisches Mietmodell soll ungleiche Voraussetzungen der Bewohner*innen ausgleichen. Neben dem Wohn- und Essbereich in der Wohnung stehen den Bewohner*innen weitere Räume zur Verfügung: Über den Wohnungen, im 7. Stock, befindet sich die Gemeinschaftsetage mit einem großen Wohnbereich und einer offenen Küche. Außerdem haben wir hier ein Gästezimmer und einen Sport- bzw. Toberaum. Daneben bietet die Dachterrasse Raum für Austausch und Erholung.
Das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist unterschiedlich ausgeprägt, sowohl individuell als auch in den Wohngemeinschaften. Synergien, die ein Hausprojekt mit 42 Personen herstellen kann, nutzen wir aber alle gerne: Sei es dass wir im Keller mehrere Waschmaschinen zur gemeinschaftlichen Verfügung haben, ein Lastenrad angeschafft haben oder uns in verschiedenen Alltagsfragen und -problemen unterstützen. Absolut gemeinschaftlich organisiert sind die Einrichtung und Instandhaltung der Gemeinschaftsbereiche vom Keller bis zur Dachterrasse, vom Putzen des Treppenhauses bis zur Verwaltung der Hausschlüssel.
Das öffentliche Erdgeschoss
Teil der Ausschreibung im Konzeptverfahren war die Auflage, im Erdgeschoss öffentlichkeitswirksame Nutzungen zu schaffen, die in den Stadtteil wirken. Angesichts der Probleme, die das Bahnhofsviertel ausmachen, haben wir uns diese Vorgabe schnell zu eigen gemacht. Schon früh verständigten wir uns mit dem Förderverein Roma, der im Sommer 2017 aus dem Bahnhofsviertel nach Bornheim umziehen musste, auf eine Nutzung von Teilen des Erdgeschosses im NiKa durch die Sozialberatung des Vereins. Seit Anfang Juli können die rund 450 Roma-Familien in Frankfurt die Beratungsangebote des Fördervereins wieder im Bahnhofsviertel nutzen.
Der zweite Erdgeschossraum wird als Community Space von verschiedenen Gruppen und Initiativen genutzt, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Arbeit im Bahnhofsviertel fortzuführen. Afghan Refugee Movement, Bahnhofsviertel Solidarisch, das Beratungs-Café United, ISD – Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, der Eltern-Kind-Treff, NoBorder, project.shelter und turn the corner e.V. haben je ihre eigenen Plena und Veranstaltungen im Community Space, wollen aber auch die entstehenden Synnergien von so viel Aktivismus und Wissen nutzen.
Als drittes beherbergt das Erdgeschoss SYNNIKA, einen experimentellen Raum für Praxis und Theorie, in dem visuelle Kunstinstallationen, Workshops, Diskussionen und andere Formate der Zusammenkunft ausgerichtet werden.
Das Bahnhofsviertel – umstrittener Raum in der Stadt
Die Polizei geht im Frankfurter Bahnhofsviertel zuletzt wieder vehementer gegen Drogenkonsument*innen und Wohnsitzlose vor. Dabei wird betont, dass es nicht um Verdrängung, sondern das Miteinander im Viertel gehe. Zu beobachten ist aber etwas anderes: Diejenigen, die aus verschiedenen Gründen keinen anderen Ort haben als die Straße, sollen in die Unsichtbarkeit geschoben werden, um Plätze und Straßen frei zu machen.
Ein bisschen verrucht darf es bleiben, aber im Endeffekt soll das Bahnhofsviertel sauberer und damit nutzbarer für Menschen mit Geld werden, die sich am Elend stören. Da geht es eben nicht um ein Miteinander, sondern um Verdrängung. Der Zuzug einkommensstärkerer Gruppen sowie entsprechender gastronomischer und Einkaufsangebote ins Viertel lässt die Ungleichheit sichtbarer werden. Wir glauben, dass die “Zuspitzung der Situation”, von der immer wieder die Rede ist, vor allem darin gründet, dass der Kontrast zwischen dem Elend der Einen und dem Reichtum der Anderen offener zutage tritt.
Es braucht mehr Angebote für Drogenkonsument*innen, mehr soziale Arbeit. Daneben braucht es aber ein Verständnis des Bahnhofsviertels als einem Ort, der anders funktioniert als das Nordend. Bahnhöfe und ihre Viertel sind immer Orte des Ankommens, des Suchens, des Kontakts, des Scheiterns und auch der Sucht.
Nachbarschaft statt Ausgrenzung!